Rechtschreibreform: Die Amtliche Regelung (Rechtschreibreform), Bericht, Seite 721701
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Stefan Ram

Die Rechtschreibreform

Lesedauer: 3 Minuten

Die Fehlerzahlen explodieren

Die Gießener Längsschnittstudie

Die »Gießener Längsschnittstudie« [0] findet im Jahre 2012 bei Viertkläßlern nach der Sprachveränderung explodierende Fehlerquoten  mit immer noch wachsender Tendenz. Hier die drei mir aus der Presse bekannten Daten:

1972:  7, 
2002: 12,
2012: 17.

Die Daten sind verträglich mit der in dem folgenden Diagramm gegebenen Interpretation, der zufolge die Einführung neuer Regeln an den Schulen Ursache der Fehler ist. In dem folgenden Diagramm sind die drei Datenpunkte mit »x« gekennzeichnet. (Der Knick wird weiter unten im Abschnitt „Die Änderung der Sprache ist tatsächlich schuld“ noch einmal begründet werden.)

17 |                       x
16 | /
15 | /
14 | /
13 | /
12 | x
11 | /
10 | /
9 | /
8 | /
7 | x---------'
6 | Reform
5 |
4 |
3 |
2 |
1 |
'--------------------------
1972 1982 1992 2002 2012

Und 2016 schrieb eine Berliner Zeitung zu den Vera-8-Ergebnissen für das Jahr 2016: „Im Bereich Deutsch unterschritten 2016 über 35 Prozent der Neuntklässler die Mindestanforderungen; im Jahr zuvor lag diese Quote noch bei 25 Prozent.“ – Diese Ergebnisse beziehen sich vermutlich nicht nur auf die Rechtschreibfähigkeiten, sie sind aber vermutlich auch nicht vollkommen unabhängig davon.

2017-12-17 berichtete eine Berliner Zeitung zu Polizeischülern: „Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) machte am Wochenende mit einer bei Facebook publizierten Stellungnahme eines Ausbilders neue Details öffentlich. Demnach hat sich die Anzahl derjenigen, die beim Deutsch-Diktat völlig versagen (Note 6), von 2010 bis 2017 verneunfacht.“.

2018-02-12 berichtet eine Berliner Zeitung über die geheim gehaltene Studie „Vera 3“: Drei Viertel der 24.000 Grundschüler schaffen demnach nicht den von der Kultusministerkonferenz gesetzten Regelstandard im Bereich der Rechtschreibung. Die Hälfte bleibt unter den Mindestanforderungen. Selbst bei Kindern deutscher Herkunftssprache liegen 40 Prozent auf der schlechtesten Stufe.

Die Ergebnisse von Harald Marx

Auch alle anderen Studien belegen erheblich mehr Rechtschreibfehler in den Schulen seit der Veränderung der Sprache.

Erheblich mehr Fehler
dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH
2004
http://www.wiesbadener-kurier.de/politik/rechtschreibreform/objekt.php3?artikel_id=1602292
„Leipzig (dpa) Nach Einführung der Rechtschreibreform hat sich nach einer Langzeitstudie des Leipziger Lernpsychologen HARALD MARX die Zahl der Fehler in Schülerdiktaten erheblich erhöht. (...) Der Forscher warf der Kultusministerkonferenz Meinungsmache vor, die nicht auf Fakten beruhe. (...)“
bis zu 22 Prozent mehr Fehler
Bild Online
2004-09-06
http://www.bild.t-online.de/BTO/news/2004/09/06/schlechtschreibreform__studie/schlechtschreibreform__studie__schueler.html
»Seit Einführung der neuen Regeln stieg die Zahl der Fehler um bis zu 22 Prozent!«

Hier eine Quellenangabe zu einer Studie von Marx: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie; 31. Jg.; Heft 4, 1999; Rechtschreibleistung vor und nach der Rechtschreibreform: Was ändert sich bei Grundschulkindern?; Harald Marx; Universität Bielefeld

Die Studien von Uwe Grund

Der Germanist Uwe Grund (Hannover) hat (laut Berichten in verschiedenen Medien) im November 2013 auf der Jahrestagung der Forschungsgruppe Deutsche Sprache in Frankfurt/Main eine Studie vorgelegt, die sich auf Diktate und Aufsätze mit 3,5 Millionen Wörtern stützt. Das Ergebnis: Gerade in den Bereichen, in welchen die Veränderung vereinfachen sollte, nämlich bei der Groß- und Kleinschreibung, der Getrennt- und Zusammenschreibung und der Schreibung von S-Lauten machen die Schüler nun wesentlich mehr Fehler : Vor dem Eingriff gab es in sechs Klassenarbeiten (mit jeweils 220 Wörtern) beispielsweise nur einen einzigen Fehler aus dem Bereich der Schreibung von S-Lauten (es gab also gar keinen Bedarf für eine Änderung). Jetzt sind die Fehlschreibungen in diesem Bereich deutlich erhöht.

Die Studie „IQB-Bildungstrends “ von 2017-11

Laut der am 2017-11-13 von der Kultusministerkonferenz in Berlin veröffentlichten Studie „IQB-Bildungstrends “ haben sich in der Bundesrepublik Viertkläßler im Vergleich zu 2012 auf dem Gebiet der Rechtschreibung weiter verschlechtert  (Pressemeldung).

Zusammenfassung

Die Studien von Marx  und Grund  kommen also im wesentlichen zu dem gleichen Ergebnis: Dort, wo die Sprache verändert wurde, werden jetzt erheblich mehr Fehler gemacht. Studien mit gegenteiligen Ergebnissen gibt es nicht.

Die Ergebnisse von Marx, Grund  und aus Gießen  stimmen mit den Erfahrungen der Lehrer überein:

Rechtschreibleistungen der deutschen Schüler nicht besser geworden
Josef Kraus, Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbandes
2006-09-22
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/546376/drucken/
»„Die Versprechungen wurden nicht eingelöst. Unterm Strich sind die Rechtschreibleistungen der deutschen Schüler nicht besser geworden.“
Zwar seien die Regelungen zur S-Schreibung in sich stimmig, aber nicht leichter geworden. Als nach wie vor problematisch bewertete der Pädagoge die Groß- und Kleinschreibung sowie die Zusammen- und Getrenntschreibung. In diesen Bereichen gebe es „keinen Konsens mehr“. Darum würden Lehrer solche Fehler auch großzügig behandeln.«

Die „großzügige Behandlung“ bedeutet eine Freigabe verschiedener Varianten, wie sie von der amtlichen Regelung ohnehin schon ohne jede Not im Übermaß geschaffen wurden. Die Rechtschreibunsicherheit wächst weiter.

Dabei sind „mangelnde Deutschkenntnisse das größte Hemmnis bei der Arbeitssuche“, wie das Nürnberger „Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung“ am 19. Dezember 2006 mitteilte. Die Verwaltungsvorschriften schaden den Schülern also ausgerechnet dort, wo die Politik sich angeblich besonders zu Gunsten der Schüler einsetzen will.

Die Änderung der Sprache ist tatsächlich schuld

Man könnte meinen, daß auch ohne die Änderung der Sprache heute mehr Fehler gemacht werden würden, weil man glauben könnte, daß die Tendenz unabhängig von dem Eingriff dahin gehen würde, weniger sorgfältig zu schreiben. Doch das stimmt nicht! Denn die Untersuchungen von Marx zeigen, daß die Schüler bei den Wörtern, die nicht  von der Änderung betroffen sind, nicht  mehr Fehler machen als früher.

Nur dort, wo die Umstellung eingegriffen hat, werden mehr Fehler gemacht:

„Vergleichbaren Rechtschreibleistungen bei den von der Rechtschreibreform nicht direkt betroffenen Wörtern stehen deutlich schlechtere bei den reformkritischen s-Wörtern gegenüber.“
Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie; 31. Jg.; Heft 4, 1999; Rechtschreibleistung vor und nach der Rechtschreibreform: Was ändert sich bei Grundschulkindern?; Harald Marx; Universität Bielefeld

Dadurch ist auch die Interpretation der Daten durch ein Diagramm ganz am Anfang dieses Artikels gerechtfertigt: Die Daten „7, 12 und 17“ müssen – isoliert betrachtet – nicht notwendigerweise durch die gegebene Kurve interpretiert werden, derzufolge die Zahl der Fehler erst mit Einführung der staatlichen Veränderung  der Schreibung anstieg. Wenn man jedoch die am Anfang dieses Abschnitts gegebene Information zusätzlich  zu den Daten „7, 12 und 17“ zur Interpretation der Daten heranzieht, kommt man zu der gezeigten Kurve.

Die Ministersprache ist tatsächlich komplizierter

Die Regeln der Schulminister zu S-Lauten sind nach dem Eingriff auch nachvollziehbar komplizierter geworden sind: Gab es vor der Veränderung nur die Notwendigkeit zur Wahl zwischen zwei  möglichen S-Schreibweisen am Silbenende, nämlich „-s“ und „-ß“, so sind es nach dem Eingriff drei, nämlich „-s“, „-ß“ und „-ss“.

Schreibungen für den Laut S am Silbenende im normalen Deutsch
Schreibungen für den Laut S am Silbenende im veränderten Deutsch

Dies muß schon rein statistisch zu mehr Fehlern führen. So wird heute von neuen Fehlertypen wie beispielsweise „Sarkassmus“ berichtet, die vielleicht entstehen, weil Schüler sich einprägen, daß nach einem kurzen Laut „ss“ geschrieben wird und der Unterschied zwischen dem Schriftbild „s“ und „ss“ auch weniger einprägsam ist als der zwischen „s“ und „ß“. Das Eszett hilft zudem als Silbenmarkierer in Wörtern wie „Meßerfassung“ (in den Schulen: „Messerfassung“ - eine Fassung für Messer?).

Hinzu kommt noch, daß die Rechtschreibung zu einem „beweglichen Ziel“ gemacht wurde. Beispielsweise galt bis 1996 nur „sogenannt“ als korrekt, dann bis 2006 nur „so genannt“, und seit 2007 sind beide Schreibweisen erlaubt. Natürlich ist es eine zusätzlich Komplikation, jetzt dem Schreiber die Last der Entscheidung zwischen beiden Schreibweisen aufzubürden und ihn gleichzeitig als Leser dauerhaft mit zwei Varianten zu konfrontieren.

Sandra Scheeres hält an der schülerfeindlichen Veränderung fest

Es ist anscheinend nicht etwa nötig, Schulminister, wie etwa Sandra Scheeres, nun von der Schädlichkeit der Änderung zu überzeugen. Denn es gibt bereits Einsicht:

Zitat
„Die Kultusminister wissen längst, daß die Rechtschreibreform falsch war.“
Johanna Wanka  (Präsidentin der „Kultusministerkonferenz“  im Jahre 2005)
2006-01
Spiegel 1/2006
http://www.tagblatt.ch/index.php?artikelxml=xxx&artikel_id=1205165&ressort=tagblattheute/hintergrund
Zitat
„Wir hätten die Rechtschreibreform nicht machen sollen.“
Hans Zehetmair  (als Bayerischer Kultusminister)
2004
Berliner Zeitung 2004
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2004/1218/politik/0071/index.html

Ein Schulminister könnte dem ideologiegesteuerten Spuk durch einen Erlaß ein Ende bereiten. Frau Scheeres hält an der schädlichen Vorschrift fest (Stand 2021).

Ein Wort von Schopenhauer

Zitat
Arthur Schopenhauer
1819 – 1859
„Die Sprache, zumal eine relative Ursprache, wie die Deutsche, ist das köstlichste Erbtheil der Nation und dabei ein überaus komplicirtes, leicht zu verderbendes und nicht wieder herzustellendes Kunstwerk, daher ein noli me tangere.“
(Arthur Schopenhauer, „Die Welt als Wille und Vorstellung“, Zweiter Band, Kapitel 12, „Zur Wissenschaftslehre“, S. 145–147, Haffmans-Ausgabe, 1988. Zitiert nach Stephen Hust )
[0] wohl: Wolfgang Steinig (Siegen)/Dirk Betzel (Freiburg i.Br.), Schreiben Grundschüler heute schlechter als vor 40 Jahren? – Texte von Viertklässlern aus den Jahren 1972, 2002 und 2012. Siehe auch: "Schreiben von Kindern im diachronen Vergleich"
Zitat
Utz Maas
„Grundsätzlich sind alle orthographischen Vorgaben für sich betrachtet beliebig – und damit auch veränderbar. Allerdings haben sie sich in einem Netz von wechselseiteigen Verknüpfungen eingespielt, das bei Veränderungen zu berücksichtigen ist – und nicht ohne weiteres gestört werden sollte.“
(Utz Maas, „Vom Sinn der Rechtschreibung“, 2015.)

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